
Das schwedische Insolvenz- und Restrukturierungsrecht hat 2022 eine bedeutende Reform erfahren: Mit dem Inkrafttreten des neuen Rekonstruktionsgesetzes wurde die nationale Gesetzgebung an die EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz angepasst. Das Ziel ist klar: wirtschaftlich grundsätzlich lebensfähigen, aber finanziell angeschlagenen Unternehmen eine bessere Überlebenschance zu geben – Insolvenzen vermeiden und langfristige Stabilität wiederherstellen.
Bei Valtus Alliance stützen wir uns auf ein weltweites Netzwerk von Restrukturierungs-Expert:innen – denn gesetzliche Rahmenbedingungen und Sanierungspraxis unterscheiden sich stark von Land zu Land. In diesem Interview mit Curt Holmertz, einem erfahrenen Executive Interim CFO, spricht Björn Henriksson, Group CEO von Valtus, darüber, wie das neue Gesetz in der Praxis angewendet wird, welche Rolle gerichtlich bestellte Administrator:innen und Chief Restructuring Officers (CROs) spielen und welche typischen Fehler Unternehmen in Krisenzeiten machen. Auf Basis praktischer Erfahrungen aus aktuellen Fällen teilt unser Experte zentrale Erkenntnisse über proaktives Handeln, den Umgang mit Gläubiger:innen und warum Cashflow-Management der entscheidende Erfolgsfaktor bleibt.
Was macht den rechtlichen Rahmen für Insolvenz und Restrukturierung in Schweden einzigartig?
„Das neue schwedische Rekonstruktionsgesetz, das 2022 in Kraft getreten ist, stellt eine Anpassung an die EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz dar. Diese Richtlinie verlangt ein rechtliches Instrumentarium, das es wirtschaftlich tragfähigen, aber finanziell angeschlagenen Unternehmen ermöglicht, sich außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu sanieren. Das neue Gesetz bietet einen größeren Werkzeugkasten – aber auch zusätzliche Anforderungen im Verfahren.
Auch wenn ich bereits an mehreren Projekten beteiligt war, betrachte ich mich im schwedischen wie im internationalen Insolvenzrecht noch als Laien. Mein Beitrag bestand jeweils darin, als zusätzliche Senior-Ressource – etwa als Chief Restructuring Officer (CRO) – sowohl das Unternehmen als auch die gerichtlich bestellte Verwaltung zu unterstützen.“
Gibt es Pflichtberichte oder Gutachten bei Liquiditätskrisen oder drohender Insolvenz?
„Das Gericht verlangt Nachweise, dass das Unternehmen nach der Restrukturierung wirtschaftlich überlebensfähig ist. Daher sollte bereits vor Antragstellung ein Entwurf eines Restrukturierungsplans erstellt werden. Dieser Plan muss belegen, dass das Unternehmen sowohl kommerziell als auch finanziell realistische Chancen hat, langfristig wieder tragfähig zu werden. Wichtig ist die Formulierung ‚Entwurf‘ – der Plan wird erst im weiteren Verlauf von den relevanten Parteien angenommen. Zudem sollte der Antrag an das Gericht einen Vorschlag für eine:n Administrator:in enthalten, die oder der dem Entwurf zustimmen muss.“
Was ist aus deiner Erfahrung der häufigste Fehler in den frühen Phasen einer Liquiditätskrise?
„Emotionen überlagern oft die rationale unternehmerische Logik. Das führt zu reaktivem statt proaktivem Handeln – und gerade in einer Liquiditätskrise ist Proaktivität entscheidend. Typischerweise setzt der Vorstand oder die Geschäftsführung alle Hoffnung auf eine Kapitalzufuhr durch bestehende oder neue Eigentümer:innen und wartet dadurch zu lange, um den Prozess einer gerichtlichen Restrukturierung einzuleiten.
Kurz gesagt: Wenn ich in einer Liquiditätskrise hinzugerufen werde, versuche ich, Eigentümer:innen, Vorstand und Management bewusstzumachen, dass sie bereits zu spät dran sind – und dass sie mehrgleisig und proaktiv handeln müssen, statt nacheinander auf Krisen zu reagieren.“
Wann und in welcher Funktion (z. B. Berater:in, CFO, CRO) sollte ein:e externe:r Restrukturierungsexpert:in eingebunden werden – und wer sollte das Mandat erteilen?
„Ich empfehle, eine:n CRO bereits bei Erstellung des Restrukturierungsplans zu beauftragen – also vor dem Antrag beim Gericht.
Ein CRO sollte üblicherweise sowohl an den Vorstand als auch an die oder den Administrator:in berichten, da das Gesetz festlegt, dass die Unternehmensführung teilweise auf die Verwaltung übergeht, während der Vorstand für den operativen Betrieb verantwortlich bleibt.
Natürlich muss der CRO eng mit CEO und CFO zusammenarbeiten, sollte aber auch direkten Zugang zu Vorstand und Eigentümer:innen haben.
Ein CRO allein reicht oft nicht aus. Nach Phasen mit Kostensenkungen, Kapitalengpässen und strategischen Neuausrichtungen ist das Personal meist stark belastet – und dann soll es noch eine Sanierung stemmen. Deshalb ist eine der ersten Aufgaben des CRO, zu prüfen, ob das Unternehmen die personellen und fachlichen Ressourcen hat, um den Restrukturierungsplan umzusetzen und gleichzeitig das Tagesgeschäft weiterzuführen.
Ideal geeignet sind erfahrene CFOs oder COOs, die bereits Sanierungsverfahren begleitet haben oder zumindest rechtliche Anforderungen in operative und kommerzielle Maßnahmen übersetzen können.
Der CRO sollte in der Lage sein, Eigentümer:innen, Vorstand und Management proaktiv herauszufordern, um Lösungen zu finden. Branchenkenntnis ist hilfreich, aber weniger entscheidend als breite Management-Erfahrung – fachspezifisches Wissen kann bei Bedarf durch Expert:innen ergänzt werden.“
Gibt es in Schweden eine Art Schutzschirmverfahren?
„Das Insolvenzgesetz von 2022 enthält ein Schutzschirm-ähnliches Verfahren, das dem Unternehmen Zeit verschafft, sich zu restrukturieren, während es vor Gläubigermaßnahmen wie Pfändungen geschützt ist. Für den CRO ist es entscheidend, diese Schutzmechanismen in konkrete kommerzielle Strategien zu übersetzen.
Der CRO sollte eine vermittelnde Rolle zwischen Unternehmen und Gläubiger:innen einnehmen, da in dieser Phase hoher Druck besteht.
Aber Vorsicht: Der Schutzschirm wirkt in beide Richtungen – die oder der Administrator:in kann die Restrukturierung beenden und Insolvenz anordnen, wenn das Unternehmen einzelne Gläubiger:innen bevorzugt.
Ein CRO muss daher gute Governance-Strukturen sicherstellen, um solche Situationen zu vermeiden.“
Erhalten Mitarbeiter:innen in Schweden während einer Insolvenz oder Restrukturierung weiter ihr Gehalt?
„Ja, teilweise: Für ausstehende Gehälter zum Zeitpunkt der gerichtlichen Genehmigung gilt die staatliche Lohnbürgschaft (lönegaranti). Diese deckt bis zu vier sogenannte Preisbasiseinheiten ab (aktuell ca. 235.200 SEK bzw. rund 21.000 Euro). Darüber hinausgehende Beträge werden als ungesicherte Forderungen im Verfahren behandelt.
Löhne für Arbeit nach der Genehmigung müssen vom Unternehmen selbst gezahlt werden. Der Restrukturierungsplan muss also belegen, dass die Mittel dafür vorhanden sind.“
Wie stellen Interim Manager:innen sicher, dass sie im Insolvenz- oder Restrukturierungsfall bezahlt werden?
„In der Regel erfolgt die Bezahlung zweiwöchentlich im Voraus – ich empfehle, dies von der oder dem Administrator:in bestätigen zu lassen.“
Kannst du ein aktuelles Beispiel aus der Praxis nennen?
„Ja, ich habe ein Online-FMCG-Unternehmen unterstützt, das 2022 als eines der ersten nach dem neuen Gesetz eine Restrukturierung beantragte.
Wir haben dabei alle neuen Instrumente genutzt – z. B. Super-Priority-Bridge-Loan, Cram-Downs und vorzeitige Kündigungen ungünstiger Verträge.
Das war eine sehr wertvolle Erfahrung für zukünftige Projekte.“
Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Erfolgsfaktoren bei einer Restrukturierung nach dem neuen Gesetz?
„Meine zentralen Erkenntnisse:
- Missverständnis vermeiden: Restrukturierung bedeutet nicht nur Schuldenabbau. Ohne Beitrag der Eigentümer:innen wird eine Schuldenreduzierung meist nicht genehmigt. In der Regel behalten sie nur 5–15 % der Anteile, sofern sie kein neues Kapital einbringen.
- Teamarbeit: Erfolg erfordert enge, offene Zusammenarbeit zwischen Eigentümer:innen, Vorstand und Management – regelmäßige, ehrliche Gespräche ohne Schuldzuweisungen.
- Proaktivität und Kreativität: Das neue Gesetz bietet mehr Spielraum für maßgeschneiderte Lösungen, die früher kaum möglich waren.
- Cashflow ist König: Kein Unternehmen darf in einer Restrukturierung das Geld ausgehen lassen. Präzise Cashflow-Planung und tägliches Monitoring sind überlebenswichtig.“
Wie effizient ist die Zusammenarbeit zwischen Management, Gläubiger:innen und Gerichten?
„Ich würde sagen: ziemlich effizient, hängt aber stark von den Beziehungen zu den Gläubiger:innen vor der Restrukturierung ab.“
Was rätst du einem ausländischen Unternehmen mit einer Tochtergesellschaft in Schweden bei einer schweren Ertrags- und Liquiditätskrise?
„Lokale Präsenz ist entscheidend. Solche Krisen lassen sich nicht aus der Ferne lösen – man muss die Ursachen verstehen und Gegenmaßnahmen bewerten können.
Ein:e Interim-CRO vor Ort ist oft die beste Lösung, um Objektivität und Handlungsfähigkeit sicherzustellen.“
Wie siehst du die Rolle der Hausbanken – Partner:innen oder Hindernis?
„Beides. Banken haben meist Vorrangforderungen und können im Rahmen des neuen Gesetzes sogar zu Eigentümer:innen werden (z. B. durch Debt-to-Equity-Swaps).
Sie sind deshalb unverzichtbare Partner:innen, aber auch kritische Verhandlungspartner:innen.
Da sie vorrangig behandelt werden, vergleichen Banken jede Restrukturierung mit dem Insolvenz-Szenario – man muss ihnen also einen wirtschaftlich besseren Weg bieten. Auch nachrangige Forderungen, etwa Gesellschafterdarlehen, werden meist erst abgeschrieben und dann in Eigenkapital umgewandelt.“
Unterstützt der Staat Unternehmen in der Krise, z. B. durch Zuschüsse oder Kredite?
„Grundsätzlich nein. Staatliche Unterstützung gibt es während der Restrukturierung nur in Form der Lohnbürgschaft (lönegaranti).
Der Staat ist jedoch selbst häufig Gläubiger – etwa bei Mehrwertsteuerforderungen – und spielt daher eine wichtige Rolle im Verfahren.
Ein gutes Verhältnis zu den Steuerbehörden ist daher essenziell.
Es gibt keine gesetzliche Mindestquote, aber 25 % gelten üblicherweise als Ausgangspunkt.“