Restrukturierung in Italien: Wie Sanierungen südlich der Alpen gelingen

Bei Valtus Alliance stützen wir uns auf ein globales Netzwerk von Restrukturierungsexpert:innen, da sich rechtliche Rahmenbedingungen und Restrukturierungskulturen weltweit stark unterscheiden. In diesem grenzüberschreitenden Gespräch teilt Maurizio Ria, Managing Director von Duke & Kay in Mailand, Einblicke aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Restrukturierung. Interviewt wird er von Christophe Mare, Partner bei Valtus France in Paris. Maurizio spricht über das neue italienische Insolvenzgesetz CCII, die Rolle eines CRO und den Einfluss von Private Equity auf Restrukturierungen in Italien.

Was macht den rechtlichen Rahmen für Insolvenz und Restrukturierung in deinem Land einzigartig?

Das neue italienische Insolvenzgesetz CCII (Codice della Crisi di Impresa e dell’Insolvenza) wurde erst vor wenigen Jahren eingeführt. Es handelt sich um ein modernes Regelwerk, das eine Vielzahl an Verfahren und Instrumenten bietet – von den „leichteren“ (außergerichtliche Verfahren wie die Composizione Negoziata della Crisi) bis hin zu stärker formalisierten Verfahren (z. B. Concordato Preventivo). Ziel ist es, Instrumente bereitzustellen, die auf den tatsächlichen Krisenstatus des Unternehmens zugeschnitten sind und den passenden Eingriff ermöglichen, um die Probleme zu lösen und die Geschäftskontinuität wiederherzustellen. Hier finden Sie eine Übersicht der wichtigsten Stakeholder und Berater:innen, die typischerweise in einem Restrukturierungsprozess eingebunden sind.

Gibt es Pflichtberichte oder Gutachten im Falle einer Liquiditätskrise oder drohenden Insolvenz?

Vorstand und Abschlussprüfer sind verpflichtet, die Gesundheit des Unternehmens zu überwachen. Sie können sogar strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie drohende Insolvenzen verschweigen oder nicht melden. Nach dem neuen Gesetz sind alle Unternehmen dazu verpflichtet, regelmäßig ihre finanzielle „Covenant-Gesundheit“ zu überwachen, um erste Anzeichen einer Krise so früh wie möglich zu erkennen.

Welche Fehler machen Unternehmen deiner Erfahrung nach am häufigsten in den frühen Stadien einer Liquiditätskrise?

Unternehmer:innen sind von Natur aus optimistisch, und etwa 95 % der italienischen Unternehmen sind kleine und mittelständische Betriebe mit einem Jahresumsatz unter 50 Mio. €. Das führt oft dazu, dass Eigentümer:innen zunächst versuchen, Probleme allein zu lösen. Leider geht dabei wertvolle Zeit verloren. Je länger die richtige Intervention hinausgezögert wird, desto komplexer und teurer wird die Umsetzung eines effektiven Restrukturierungsplans. Genau deshalb führt das neue Gesetz Sanktionen für ein verspätetes Handeln ein.

Ab wann, und in welcher Rolle, sollte ein:e externe:r Restrukturierungsexpert:in hinzugezogen werden – und wer sollte sie bzw. ihn beauftragen?

Wie schon gesagt, meist kommt der Hilferuf zu spät, oft erst dann, wenn der Vorstand die Lage nicht mehr allein bewältigen kann. Typischerweise erfolgt das, wenn sich die Probleme verschärfen und Banken die Linien föllig stellen oder Lieferant:innen mit Inkasso drohen.

In dieser Phase wenden sich unterschiedliche Parteien an uns: Management, Vorstand, Eigentümer:innen, Banken, Berater:innen oder Private Equity Manager:innen.

Die passendste Rolle in solchen Situationen ist oft der CRO (Chief Restructuring Officer): eine erfahrene Führungskraft mit CEO-Kompetenzen, die das Geschäft versteht und mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet wird. Der CRO tritt in den Vorstand ein, arbeitet eng mit Rechts- und Finanzberater:innen zusammen, setzt Prioritäten, definiert die Maßnahmen und implementiert sie im Einklang mit den Vorgaben des CCII, wobei alles in einen umfassenden Restrukturierungsplan eingebettet ist. Ab diesem Moment ist der CRO für die Umsetzung und das tägliche Management verantwortlich.

In manchen Fällen kann auch ein:e erfahrene:r CFO diese Rolle übernehmen. Er bzw. sie arbeitet dann gleichzeitig als Vorstand und als Projektmanager (direttore di orchestra), koordiniert in letzterer Funktion auch die Berater:innen und agiert als Brücke zwischen diesen und den Stakeholder:innen. In besonders komplexen Fällen setzen wir ein ganzes Managementteam ein, in dem jede:r bestimmte kritische Funktionen übernimmt. So können wir sowohl Geschwindigkeit als auch Wirksamkeit sicherstellen.

Wie bewertest du den Einsatz von Schutzschirmverfahren als Teil einer Restrukturierungsstrategie? Gibt es in Italien solche Schutzschirme?

Dank des CCII können Unternehmen einen Schutzschirm in Anspruch nehmen, der mit dem jeweils gewählten Instrument verknüpft ist und gerichtlich genehmigt werden muss. In den meisten Fällen ist es absolut entscheidend, die Vollstreckungsmaßnahmen von Banken und Lieferant:innen zu stoppen, die das Unternehmen sonst in die Insolvenz treiben würden. Nur so bleibt die nötige Zeit, um passende Restrukturierungslösungen zu entwickeln und Arbeitsplätze sowie industrielles Know-how zu erhalten.

Bekommen Mitarbeiter:innen in Italien im Falle einer Insolvenz weiter ihre Gehälter und Boni oder verlieren sie diese ganz oder teilweise?

Selbst im Insolvenzfall gelten Löhne und Gehälter von Mitarbeiter:innen als „super-senior“ Forderungen, die in der Regel geschützt sind. Zusätzlich gibt es staatliche Mechanismen wie Cassa Integrazione und NASPI (Nuova Assicurazione Sociale per l’Impiego), die einen Teil der Gehälter absichern.

Wie stellen Interim Manager:innen in der Restrukturierung sicher, dass sie ihr Honorar im Insolvenzfall erhalten?

Außergerichtliche Verfahren bergen gewisse Risiken. Um diese zu mindern, ist eine gerichtliche Anerkennung zwingend erforderlich, da die Rolle von Interim-Expert:innen im Sanierungsprozess zentral ist. Mit dieser Anerkennung profitieren wir auch von einem privilegierten Status, sozusagen einem „super-senior ranking“, bei der Bezahlung unserer Honorarnoten.

Welcher Fall in deiner Karriere hat dein Verständnis von Restrukturierung am stärksten geprägt – und was hast du daraus gelernt?

Mein allererster Fall – ich war damals 29 – gab mir nicht nur den Adrenalinschub, ein so komplexes Verfahren leiten zu dürfen, sondern vor allem auch die riesige Genugtuung, die Schwierigkeiten des Unternehmens erfolgreich gelöst zu haben. Ich erinnere mich noch genau an die Freude in den Gesichtern der Mitarbeiter:innen – das ist mit Worten kaum zu beschreiben. Nachdem ich diese Erfahrung verarbeitet hatte, konnte ich entscheidende Lektionen ableiten, die bis heute mein Vorgehen prägen.

In den Folgejahren habe ich zusätzlich spezifische Fachkenntnisse aufgebaut und umfangreiche Managementtrainings absolviert, die mir beigebracht haben, wie man komplexe Teams unter hohem Druck führt. Heute geben wir dieses Wissen an die Führungskräfte weiter, die wir für unsere Restrukturierungsprojekte auswählen und einsetzen.

Wie effizient ist in deinem Land die Zusammenarbeit zwischen Management, Gläubiger:innen und Gerichten in formalen Restrukturierungsverfahren?

Wir sind aktiver Teil der „Restrukturierungsgemeinschaft“ – ein relativ kleiner Kreis hochqualifizierter Fachleute, die gemeinsame Referenzen und ein starkes Commitment teilen. Manchmal schaffen jedoch unterschiedliche Praktiken und Auslegungen lokaler Gerichte Herausforderungen und führen zu nicht-harmonisierten Lösungen – selbst bei identischen Gesetzesartikeln. Trotzdem gelingt es uns in den meisten Fällen, durch sorgfältiges Studium und kluge Nutzung von Gerichtsurteilen die erwarteten Ergebnisse zuverlässig zu erzielen

Welche Rolle spielt Private Equity in Italien bei Restrukturierungen – oder bleiben Banken und Eigentümer:innen die zentralen Akteur:innen?

Es gibt mehrere spezialisierte italienische und internationale Turnaround-PE-Fonds, die notleidende Kredite von Banken mit Abschlag erwerben und versuchen, Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen – durch neue Governance-Strukturen, frisches Kapital, Eigenkapitalspritzen etc. Meist ist ihr Ziel, die Lage innerhalb von rund drei Jahren zu stabilisieren und dann durch einen Exit Gewinne zu realisieren. In den meisten Fällen werden die ursprünglichen Eigentümer:innen dabei verwässert oder komplett herausgedrängt.

Unterstützt die Regierung Unternehmen in der Krise – z. B. durch Subventionen oder staatlich garantierte Kredite?

Ja. In den vergangenen Jahren haben Regierungen verschiedene Mechanismen eingeführt, um Unternehmen in Schwierigkeiten unter bestimmten Bedingungen finanziell zu stützen. Diese Maßnahmen sind häufig mit Turnaround-orientierten Private Equity – Fonds verknüpft (z. B. die Initiative Patrimonio Rilancio), oder sie erfolgen in Form von Staatsgarantien, die Banken zur Unterstützung förderungswürdiger Unternehmen bewegen sollen.