
Japan ist kein Land, in dem Unternehmen bei Restrukturierungen schnelle Erfolge erzielen können. „Wenn ein Unternehmen nicht dauerhaft den Markt verlassen will, müssen Restrukturierungsmaßnahmen sorgfältig geplant und mit genügend Zeit umgesetzt werden“, erklärt Hajime Baba, Gründer von Clareza Partners in Tokio, im Gespräch mit Steve Rutherford, Partner von Valtus UK in London.
Bei Valtus Alliance bauen wir auf ein weltweites Netzwerk von Restrukturierungs-Expert:innen – denn Gesetze und Restrukturierungspraxen unterscheiden sich stark von Land zu Land.
Was macht den rechtlichen Rahmen für Insolvenz und Restrukturierung in Japan einzigartig?
Japans rechtlicher Rahmen ist geprägt durch eine Mischung aus formalen gesetzlichen Verfahren und informellen Praktiken, die stark von Kultur, Geschichte und Wirtschaftsstruktur beeinflusst sind.
Neben formalen Verfahren wie der Zivilen Sanierung („Minji Saisei“) oder der Unternehmensreorganisation („Kaisha Kösei“) gibt es in Japan eine lange Tradition außergerichtlicher Lösungen. Ein Beispiel ist die außergerichtliche Sanierung mittels „Jigyō Saisei ADR“, einem konsensbasiertes Verfahren, das auf Kooperation zwischen dem Schuldner, den Banken und den anderen Gläubiger:innen setzt – ganz ohne Gericht. Die Japanische Association of Turnaround Professionals JATP administriert das Jigyō Saisei ADR Verfahren, wobei ADR für „Alternative Dispute Resolution“ steht.
Informelle Verfahren werden bevorzugt, weil eine Insolvenz in Japan ein starkes gesellschaftliches Stigma trägt und als allerletzte Option gilt. Unternehmen und Banken versuchen, Probleme möglichst intern zu lösen, um Reputationsschäden zu vermeiden.
Auch die Arbeitsgesetze spielen eine wichtige Rolle: Starker Arbeitnehmer:innenschutz und eine kulturelle Betonung von Beschäftigungsstabilität wirken als Bremse für aggressive Restrukturierungen. Das erschwert schnellen Personalabbau oder (Teil)Liquidationen und fördert stattdessen kooperative Lösungen, informelle Ansätze und Strategien zum Erhalt von Arbeitsplätzen.
Was ist aus deiner Erfahrung der häufigste Fehler von Unternehmen in der Frühphase einer Liquiditätskrise?
Der häufigste Fehler ist, die Schwere der Liquiditätsprobleme zu verbergen oder herunterzuspielen. In der japanischen Kultur wird es als wichtig angesehen, „Scham“ zu vermeiden, was dazu führt, dass Probleme ungern frühzeitig an Banken, Gläubiger:innen oder Stakeholder:innen kommuniziert werden.
Zudem verlassen sich viele Unternehmen zu stark auf die Hauptbank. In der Annahme, dass sie erneut einspringen wird, vermeiden sie harte operative Entscheidungen.
Diese Haltung verschlimmert die Situation. Wenn schließlich externe Hilfe gesucht wird, sind die Handlungsspielräume bereits eingeschränkt, Gläubiger:innen sind mittlerweile weniger kooperationsbereit, und das Geschäft ist womöglich schon irreparabel geschädigt.
Ab wann und in welcher Rolle sollten externe Restrukturierungfachleute eingebunden werden – und wer sollte das Mandat erteilen?
Am besten so früh wie möglich – idealerweise bei den ersten klaren Anzeichen von operativen Problemen und von Liquiditätsengpässen. Ein Schlüsselmoment ist zum Beispiel, wenn Kreditlinien fast ausgeschöpft sind oder nur noch unter strengeren Bedingungen verlängert werden.
Japanische Manager:innen wehren sich oft dagegen, externe Personen in Entscheidungsrollen wie CEO, CFO, COO oder CRO zu bringen. Akzeptabler ist es meist, wenn die Hauptbank eine:n externe:n Expert:in vorschlägt oder diese:r als neutrale:r Berater:in auftritt, anstatt direkt Kontrolle zu übernehmen.
Bekommen Mitarbeiter:innen in deinem Land weiterhin Gehälter und Boni im Fall einer Insolvenz – oder verlieren sie alles bzw. einen Teil?
Bei einer Insolvenz erhalten Beschäftigte in der Regel nicht ihr volles Gehalt. Es gibt jedoch ein staatlich gestütztes System, das bis zu 80 % der ausstehenden Löhne (innerhalb gewisser Grenzen) übernimmt. Boni sind meist nicht abgedeckt und gehen bei einer Insolvenz verloren.
Welcher Fall in deiner Karriere hat deine Sicht auf Restrukturierung am stärksten geprägt – und was hast du daraus gelernt?
Fast 10 Jahre lang habe ich bei einer globalen HR-Beratung gearbeitet und zahlreiche Restrukturierungsprojekte geleitet. Besonders in Erinnerung blieb mir ein Projekt für eine internationale Private-Equity-Firma, die ein Unternehmen von einer traditionellen japanischen Firma übernommen hatte.
Die größte Herausforderung war der Widerstand der Belegschaft und der Gewerkschaft gegen notwendige Veränderungen. Gleichzeitig litten die Mitarbeiter:innen selbst stark unter den drastischen Änderungen durch den neuen Eigentümer. Unser Team arbeitete eng mit dem Kunden zusammen, um Brücken zwischen beiden Seiten zu bauen. Entscheidend war unser Wissen bezüglich globaler und lokaler Usancen und MIndsets.
Daraus habe ich gelernt: In Japan funktioniert der „globale Weg“ nicht. Ohne lokale Expertise lassen sich die schwierigen Aufgaben der Restrukturierung nicht erfolgreich umsetzen. Besonders bei Personalthemen ist das entscheidend, denn Arbeitsplatzsicherheit hat in Japan einen extrem hohen Stellenwert. Jobverlust wird oft mit Scham oder persönlichem Versagen verbunden.
Diese Erkenntnis hat sich auch während meiner Zeit als Managing Director für Japan bei einer globalen HR-Firma bestätigt, wo Outplacement zu den Kerngeschäften gehörte. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust führt in Restrukturierungen ohne lokale Unterstützung schnell zu massiven Problemen.
Was wäre deiner Meinung nach der beste Weg für ein ausländisches Unternehmen mit japanischer Tochtergesellschaft in einer massiven Ertrags- und Liquiditätskrise?
Das Wichtigste ist, finanzielle Überlebensfähigkeit mit rechtlichen, kulturellen und reputationsbezogenen Faktoren auszubalancieren.
Japan hat strenge Arbeitsgesetze und starke Normen zum Beschäftigungsschutz. Fehler im Umgang mit Mitarbeiter:innen können nicht nur rechtliche und finanzielle Folgen haben, sondern auch langfristig den Ruf und die Marktchancen des Unternehmens zerstören.
Darum sollte so früh wie möglich ein:e lokale:r Expert:in eingebunden werden, mit juristischem Wissen und praktischer Erfahrung in japanischen Restrukturierungen.
Grundsätzlich gilt: In Japan gibt es keine schnellen Erfolge bei Restrukturierungen. Nur wer den Markt endgültig verlassen will, kann rücksichtslos vorgehen. Alle anderen Restrukturierungsprozesse müssen sorgfältig geplant und mit genügend Zeit umgesetzt werden.
Welche Rolle spielt Private Equity in Japan bei Restrukturierungen?
Private Equity hat in Japan an Bedeutung gewonnen, aber Hauptbanken und Altaktionäre sind weiterhin zentrale Akteur:innen – insbesondere bei traditionellen Unternehmen, wo es oft auch gesellschaftsrechtliche Verschränkungen mit befreundeten Unternehmen gibt. Sie legen Wert auf Beschäftigungserhalt, schrittweise Veränderungen und gesichtswahrende Ausstiege – im Gegensatz zu aggressiven westlichen PE-Ansätzen.
In den letzten 10–15 Jahren haben PE-Fonds durch internationale Deals und den Aufstieg lokaler Player an Glaubwürdigkeit gewonnen. Ihre Rolle bleibt jedoch begrenzt, unter anderem wegen:
- kulturellen Widerstands gegen Insolvenzanmeldungen und Firmenverkäufen
- starken Arbeitnehmerschutzes
- der Ablehnung aggressiver Übernahmen durch das bestehende Management, die Gewerkschaften und die Hauptbanken
Daher verfolgen die meisten PE-Firmen in Japan eher kollaborative und graduelle Ansätze, oft mit einzelnen Führungskräften im Vorstand als strategische Partner. Nachteile sind dabei langsame Umsetzung, begrenzte Entscheidungskraft und eine Lücke zwischen Strategie und Unternehmenskultur.
Hier können Interim Manager:innen eine entscheidende Rolle spielen. Sie bringen Erfahrung, Neutralität und Umsetzungsstärke mit. Gerade in Japan, wo offene Konfrontation und schnelle Brüche oft scheitern, bieten sie eine „leise, aber kraftvolle“ Möglichkeit, Strategien umzusetzen, Performance zu verbessern und komplexe interne Dynamiken zu steuern – ohne den ungeschriebenen gesellschaftlichen Vertrag zu verletzen, der die japanische Corporate Culture prägt und zusammenhält.