
Bei Valtus Alliance setzen wir auf ein internationales Netzwerk von Restrukturierungsexpert:innen – denn gesetzliche Rahmenbedingungen und Restrukturierungskonzepten unterscheiden sich von Land zu Land erheblich.
In diesem Interview spricht Thomas Tschol, Partner der Management Factory, mit Christophe Maré, Partner bei Valtus Frankreich, über die Besonderheiten der Restrukturierungslandschaft in Frankreich.
Christophe, wie würdest du die Restrukturierungslandschaft in Frankreich beschreiben?
„In Frankreich haben wir ein kooperatives Ökosystem zur Unternehmenssanierung etabliert. Wenn französische Unternehmen in finanzielle Schieflage geraten, greift ein gut strukturiertes und professionell organisiertes Netzwerk ein, um die Sanierung zu unterstützen. Dieses multidisziplinäre Netzwerk vereint öffentliche Institutionen und private Expert:innen mit einem gemeinsamen Ziel: Unternehmen, Arbeitsplätze und wirtschaftliche Werte zu erhalten.“
Wer ist Teil dieses Netzwerks?
„Unser professionelles Restrukturierungsnetzwerk besteht aus sieben Gruppen von Akteuren:
- Handelsgerichte (Tribunaux de commerce) – Spezialisierte Richter:innen, die Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren überwachen und dabei Rechtsstaatlichkeit und Gläubigerschutz sicherstellen.
- Gerichtliche Verwalter:innen (Administrateurs judiciaires) – Vom Gericht eingesetzte Expert:innen, die Unternehmen während Schutzschirmverfahren (safeguard) oder gerichtlicher Sanierung (receivership) unterstützen oder leiten. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Diagnose, Verhandlung und Umsetzung von Restrukturierungsplänen.
- Gerichtliche Vertreter:innen (Mandataires judiciaires) – Sie vertreten die Interessen der Gläubiger:innen und überwachen die Vermögensverteilung im Insolvenzfall.
- Wirtschaftsprüfer:innen und Steuerberater:innen – Häufig die Ersten, die finanzielle Schieflagen erkennen; sie unterstützen bei der Früherkennung und der Erstellung der erforderlichen Unterlagen.
- Rechtsanwält:innen – Beraten rechtlich, vertreten Beteiligte und gestalten Verhandlungen, insbesondere bei komplexen oder grenzüberschreitenden Fällen.
- Banken und Finanzberater:innen – Verhandeln mit betroffenen Unternehmen über Schuldenumstrukturierung, Finanzspritzen oder koordinieren mit öffentlichen und privaten Gläubigern.
- Staatliche Stellen (z. B. CIRI, CODEFI, CCSF) – Unterstützen mit Vermittlung, Koordination und staatlichen Forderungen – mit dem Ziel, Gerichtsverfahren möglichst zu vermeiden.“
Wie arbeiten diese Akteur:innen zusammen?
„Dieses Netzwerk funktioniert kooperativ – oft unter hohem Zeitdruck. Das Unternehmensmanagement steht im Zentrum und wird durch Berater:innen gestützt. Wenn erforderlich, greifen gerichtliche Verfahren ein und bringen gerichtlich bestellte Expert:innen ins Spiel. Kommunikation und Vertrauen zwischen allen Beteiligten – öffentlich wie privat, juristisch wie finanziell – sind entscheidend für tragfähige Restrukturierungspläne. Frankreichs Restrukturierungsnetzwerk zeigt, wie verschiedene Fachleute gemeinsam für wirtschaftliche Resilienz sorgen können.“
Unterstützt die französische Regierung Unternehmen in der Krise – etwa durch Subventionen oder staatlich garantierte Kredite?
„Ja, definitiv. Wusstest du, dass Frankreich über eine spezialisierte Task Force verfügt, die Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten unterstützt? Das Interministerielle Komitee für industrielle Restrukturierung (CIRI), angesiedelt beim Wirtschafts- und Finanzministerium, spielt eine zentrale Rolle bei der Begleitung betroffener Unternehmen – vor allem mittlerer und großer mit gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Relevanz.
Seit 1982 arbeitet das CIRI diskret mit Unternehmen, Gläubiger:innen und weiteren Stakeholdern zusammen, um Lösungen zu finden, Arbeitsplätze zu erhalten und Know-how zu bewahren. Mit einem erfahrenen Team agiert es als neutraler Vermittler und hilft, tragfähige Sanierungspläne zu entwickeln – mit dem Ziel langfristiger Stabilität.“
Welche Mechanismen stehen Unternehmen in Schwierigkeiten zur Verfügung?
„In Frankreich gibt es zwei zentrale öffentliche Hilfsmechanismen auf lokaler Ebene: die CCSF und die CODEFI.
- Die CCSF (Commission des chefs de services financiers) vereint öffentliche Gläubiger – wie Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger – und koordiniert Zahlungsaufschübe und Umschuldungen für Unternehmen mit öffentlichen Verbindlichkeiten. Ziel ist es, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen Luft zum Atmen zu verschaffen.
- Die CODEFI (Comité départemental d’examen des problèmes de financement des entreprises) unterstützt vorrangig kleine und Kleinstunternehmen mit umfassenderen finanziellen oder betrieblichen Problemen. Geleitet vom jeweiligen Präfekten und unterstützt durch das Finanzministerium, beurteilt CODEFI kritische Situationen und verweist Fälle bei Bedarf an nationale Instanzen wie das CIRI.
In jedem französischen Département sorgen diese beiden Stellen für Nähe, frühes Eingreifen und eine koordinierte Krisenbewältigung – ein gutes Beispiel, wie staatliche Institutionen gemeinsam wirtschaftliche Resilienz fördern.“
Wie ist der rechtliche Rahmen?
„In Frankreich existieren zwei unterschiedliche rechtliche Verfahrenstypen: außergerichtliche (einvernehmliche) Verfahren und gerichtliche Insolvenzverfahren. Da die außergerichtlichen Instrumente leider selten genutzt werden, kommt es oft erst zur Intervention, wenn es schon zu spät ist – was die Erfolgschancen deutlich schmälert.“
Was versteht man unter einvernehmlichen Verfahren?
„Einvernehmliche Verfahren sollen Insolvenzen vorbeugen, bevor sie eintreten. Wenn ein Unternehmen zwar Schwierigkeiten hat, aber noch nicht zahlungsunfähig ist, bietet das französische Recht zwei vertrauliche, gerichtlich überwachbare Instrumente:
- Mandat ad hoc – Auf Antrag des Unternehmens ernennt das Gericht eine:n Vermittler:in (mandataire ad hoc), der/die Verhandlungen mit Gläubiger:innen moderiert. Ziel sind individuelle, außergerichtliche Lösungen – flexibel, vertraulich und maßgeschneidert.
- Conciliation – Dieses Verfahren richtet sich an Unternehmen mit rechtlichen, wirtschaftlichen oder finanziellen Problemen, die jedoch nicht länger als 45 Tage zahlungsunfähig sind. Ein Conciliator wird vom Gericht bestellt, um mit Gläubigern eine gütliche Einigung zu erreichen.
Beide Verfahren sind freiwillig, vertraulich und darauf ausgelegt, Geschäftstätigkeit und Arbeitsplätze zu sichern – ohne in formale Insolvenz zu gehen.“
Wie laufen gerichtliche Insolvenzverfahren ab?
„Wenn eine formale Restrukturierung notwendig ist, kommen gerichtliche Verfahren zum Einsatz. Sobald ein Unternehmen zahlungsunfähig ist – also seine fälligen Schulden nicht mehr aus eigenen Mitteln begleichen kann – muss es eines von drei Insolvenzverfahren durchlaufen:
- Schutzschirmverfahren (sauvegarde) – Für Unternehmen, die noch nicht insolvent, aber in ernsten Schwierigkeiten sind. Schulden und Verträge werden eingefroren, während ein Sanierungsplan ausgearbeitet wird.
- Gerichtliche Sanierung (redressement judiciaire) – Für bereits insolvente Unternehmen. Der Geschäftsbetrieb läuft weiter, aber unter Aufsicht des Gerichts wird ein Sanierungsplan erstellt.
- Liquidation (liquidation judiciaire) – Ist eine Sanierung nicht möglich, wird das Unternehmen abgewickelt und die Vermögenswerte verkauft, um Gläubiger:innen zu bedienen.
Diese Verfahren sind öffentlich, werden durch das Handelsgericht reguliert und sollen einen fairen Ausgleich zwischen Gläubigerschutz, Unternehmensinteressen und Arbeitsplatzsicherung schaffen. Frankreich bietet damit einen strukturierten, mehrstufigen Rechtsrahmen zur Unterstützung angeschlagener Unternehmen – mit Fokus auf Früherkennung und geordnete Sanierung.“
Welcher Fall hat deine Sicht auf Restrukturierung am stärksten geprägt – und was hast du daraus gelernt?
„Als CEO eines Medienunternehmens mit 70 Mio. € Umsatz und 700 Mitarbeitenden habe ich eine vollständige Sanierung geleitet – mit Personalabbau, Kostensenkung und digitaler Transformation sämtlicher Geschäfts- und Unterstützungsprozesse – und das alles mitten in der COVID-19-Pandemie.
Der Schlüssel zum Erfolg in solchen Situationen?
- Eine klare, langfristige Strategie
- Konsequente und abgestimmte Umsetzung
- Transparente Kommunikation mit Teams und Stakeholdern
- Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit HR
- Und ein unermüdlicher Fokus auf Mensch und Ergebnis
Kurz vor meinem Einstieg bei Valtus habe ich ein weiteres Medienunternehmen mit vergleichbarer Struktur erfolgreich restrukturiert – ein Beweis dafür, dass ein strukturiertes, handlungsorientiertes Führungsmodell nachhaltige Wirkung entfalten kann.“
Wie etabliert ist Private Equity in Frankreich im Bereich Restrukturierung?
„In den letzten zehn Jahren haben sich immer mehr französische Private-Equity-Gesellschaften auf Restrukturierungen und Sondersituationen spezialisiert. Es ist noch ein Nischensegment – aber mit großem Einfluss.
Etwa 20 bis 30 spezialisierte Fonds und Family Offices fokussieren sich aktiv auf Unternehmenssanierungen. In den vergangenen zehn Jahren haben sie über 200 Transaktionen in Krisensituationen finanziert – oft in enger Zusammenarbeit mit Gerichten, Insolvenzverwalter:innen und staatlichen Stellen. Diese Investoren sind heute ein fester Bestandteil des französischen Restrukturierungsökosystems, insbesondere bei Schutzschirmverfahren, gerichtlicher Sanierung oder Pre-Pack-Verkäufen.“
Welche Mechanismen stehen Unternehmen in Schwierigkeiten zur Verfügung?
„Ich sehe vier zentrale Unterschiede:
- Fokus auf Komplexität: Während klassische LBO-Fonds in profitable und skalierbare Geschäftsmodelle investieren, konzentrieren sich Turnaround-Fonds auf angeschlagene oder unterdurchschnittlich performende Unternehmen – oft mit schwierigen Marktbedingungen oder akuten Krisen.
- Agilität und Schnelligkeit: Diese Investoren handeln unter hohem Zeitdruck, besonders bei gerichtlichen Verfahren. Sie verfügen über schlanke Entscheidungsstrukturen und können Kapital rasch einsetzen.
- Operative Mitwirkung: Sie übernehmen aktiv Verantwortung – durch Interim Management, Vertragsverhandlungen oder Schuldenrestrukturierung.
- Mission-orientiertes Investieren: Viele dieser Akteur:innen verfolgen nicht nur Renditeziele, sondern wollen Arbeitsplätze sichern, Industrie erhalten und Know-how bewahren – tragende Säulen der französischen Wirtschaft.“
Kannst du einige dieser Fonds nennen?
„Zu den führenden Akteuren im französischen Turnaround-Bereich zählen: Perceva, Hivest Capital, Arcole Industries, Alandia Industries, Butler Industries, Prudentia Capital sowie mehrere Family Offices und unabhängige Investoren, die sich auf komplexe Sanierungen spezialisiert haben.
Sie übernehmen eine strategische Rolle in der französischen Wirtschaft – indem sie einspringen, wenn andere sich zurückziehen, sichern sie die Fortführung von Unternehmen in der Krise. Sie agieren oft im Stillen – aber ihre Rolle ist essenziell für die wirtschaftliche Erneuerung Frankreichs.“