Restrukturierung in Indien: Vom Chaos zur Gläubigerkontrolle

Indiens Wandel von einem fragmentierten und schwerfälligen Insolvenzsystem hin zu einem modernen, international beachteten Rahmenwerk ist bemerkenswert. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht der Insolvency and Bankruptcy Code (IBC), der im Jahr 2016 eingeführt wurde. Diese Reform entzog erstmals zahlungsunfähigen Eigentümer:innen die Kontrolle und übertrug sie den Finanzgläubigern – ein Paradigmenwechsel, der neue Maßstäbe hinsichtlich Transparenz und Geschwindigkeit bei der Unternehmenssanierung gesetzt hat.

In diesem Interview spricht Cecilia Brinck, Managing Partner bei Nordic Interim SE – A Valtus Company in Schweden, mit Sanjay Lakhotia, CEO und Mitgründer von Noble House Consulting Pte. in Indien. Als Mitglieder der Valtus Alliance, einem globalen Netzwerk für Executive Interim Management, diskutieren sie, wie Indiens einzigartiges Rechtssystem die Restrukturierungslandschaft verändert hat, welche Lehren internationale Unternehmen daraus ziehen können – und warum Interim Manager:innen in einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt zu einer wesentlichen Säule der Krisenbewältigung geworden sind.

Sanjay, was macht den rechtlichen Rahmen für Insolvenz und Restrukturierung in deinem Land so besonders?

Der wirkliche Wendepunkt kam 2016 mit der Einführung des Insolvency and Bankruptcy Code (IBC) – einer bahnbrechenden Reform, die zuvor zersplitterte Gesetze in ein einheitliches, zeitgebundenes Verfahren überführt hat. Hervorhebenswert ist das Creditor-in-control-Modell, bei dem nicht mehr die zahlungsunfähigen Gesellschafter:innen, sondern die Gläubiger:innen die Entscheidungsgewalt haben. Dieser Schritt brachte ein bislang ungekanntes Maß an Disziplin, Rechenschaftspflicht und Transparenz. Heute genießt Indiens System internationale Anerkennung und dient anderen Schwellenländern als Referenzmodell. Natürlich befindet es sich – wie jedes ambitionierte System – noch in der Weiterentwicklung. Aber die Richtung ist klar, und der Fortschritt innerhalb weniger Jahre ist bemerkenswert.

Gibt es verpflichtende Berichte oder Gutachten bei einer Liquiditätskrise oder drohenden Zahlungsunfähigkeit?

Sobald das IBC greift, ja – dieser Prozess ist äußerst strikt. Nach Eröffnung des Verfahrens wird ein:e Interim Resolution Professional (IRP) bestellt, der/die detaillierte Berichte über die Finanzen, den operativen Betrieb und die Verbindlichkeiten des Unternehmens erstellt. Auf Basis dieser Berichte entscheidet dann das Gläubiger:innen-Gremium (Committee of Creditors, CoC). Zudem schreibt Indien im Verfahren Bewertungen durch registrierte Sachverständige und unabhängige Prüfberichte vor, um Objektivität und Transparenz sicherzustellen. Bemerkenswert ist, dass heute ein strukturiertes, evidenzbasiertes Verfahren existiert – anstelle der früheren Intransparenz. Wir haben hier einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht – von einer uneindeutigen Restrukturierungslandschaft hin zu klaren und evidenzbasierten Regeln.

Was ist deiner Erfahrung nach der häufigste Fehler von Unternehmen in der Frühphase einer Liquiditätskrise?

Verdrängung – fast immer. Der erste Impuls ist, den Ruf zu schützen: Gespräche mit Kreditgeberinnen hinauszuzögern oder darauf zu hoffen, dass die nächste Finanzierungsrunde oder der nächste Auftrag alles wieder richtet. Dadurch verlieren Unternehmen oft wertvolle Monate, und wenn sie handeln, sind viele Optionen bereits vom Tisch. Ein weiterer Fehler ist, alles intern lösen zu wollen. Interne Teams sind in der Regel zu nah am Geschehen. Man braucht einen unvoreingenommenen Blick – jemanden, der Emotion von Umsetzung trennen kann. Das ändert sich aber zunehmend. Der IBC und das wachsende Bewusstsein für frühzeitige Restrukturierung führen dazu, dass Unternehmer:innen proaktiver handeln. Entscheidend ist, Restrukturierung als strategischen Neustart zu verstehen – nicht als Scheitern. Dieser Mentalitätswandel hat bereits begonnen.

Zu welchem Zeitpunkt – und in welcher Rolle (z. B. Beraterin, CFO, CRO) – sollte ein:e externe:r Restrukturierungsexpert:in hinzugezogen werden, und wer sollte mandatieren (Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Gesellschafter:innen, Banken, Staat)?

Idealerweise bei den ersten Anzeichen einer dauerhaften Krise – nicht erst bei einem Zahlungsausfall. Die Einbindung externer Expert:innen als Chief Restructuring Officer (CRO) oder spezialisierte Berater:innen ermöglicht entschlossenes Handeln. In Indien wird so ein Mandat meist durch den Vorstand oder die Gesellschafter:innen beauftragt. Zunehmend sprechen aber auch Investor:innen und Kreditgeber:innen Empfehlungen aus und greifen auf geprüfte Expert:innenlisten zurück. Das Ökosystem wächst – es gibt mittlerweile erfahrene Interim Führungskräfte, spezialisierte Fonds und Beratungsunternehmen, die Objektivität und Geschwindigkeit mitbringen. Je früher sie eingebunden werden, desto reibungsloser geht der Sanierungsprozess vonstatten.

Gibt es in deinem Land Schutzmechanismen („Schutzschirme“) für Unternehmen?

In Indien spricht man nicht von „Schutzschirm“, aber es gibt ein vergleichbares Instrument – das Pre-Packaged Insolvency Resolution Process (PPIRP), das insbesondere für KMU entwickelt wurde. Es bietet ein Moratorium, schützt das operative Geschäft und ermöglicht es den Unternehmensgründerinnen, mit Zustimmung der Gläubiger:innen einen Restrukturierungsplan vorzulegen. Daneben erlaubt § 230 des Companies Act gerichtliche Restrukturierungs- und Vergleichsverfahren. Diese werden zwar nicht so häufig genutzt wie in Europa, zeigen aber, dass nun auch Indien Restrukturierungen gegenüber einer Liquidation bevorzugt. Das Ziel ist klar: Es ist wichtiger, lebensfähige Unternehmen zu erhalten, als nur Forderungen einzutreiben.

Erhalten Mitarbeiter:innen während eines Insolvenzverfahrens weiterhin Gehälter und Boni oder verlieren sie ihre Ansprüche?

Die Gehälter während eines Insolvenzverfahrens gelten als Insolvency Resolution Process Costs (IRPC) und genießen absolute Priorität. Für die Dauer des Verfahrens sind die Mitarbeitenden also geschützt. Rückständige Forderungen aus der Zeit vor Verfahrensbeginn zählen jedoch zu den operativen Verbindlichkeiten und sind damit gefährdet. Positiv ist, dass viele Investor:innen in ihren Sanierungskonzepten inzwischen den Erhalt von Know-how und Personal als kritischen Erfolgsfaktor berücksichtigen – ein kulturbedingter Wandel, der anerkennt, dass Menschen – nicht nur Assets – im Mittelpunkt einer erfolgreichen Sanierung stehen.

Wie stellen Interim Manager:innen im Restrukturierungsumfeld sicher, dass sie im Falle einer Insolvenz auch wirklich bezahlt werden?

Eine berechtigte Frage. Wird ein:e Interim Manager:in als Resolution Professional bestellt, zählen die Honorare zu den IRPC und müssen vom CoC genehmigt werden – damit haben sie obersten Rang. Wird er/sie hingegen vor Einleitung des IBC informell engagiert, gilt die vertragliche Regelung. Ich empfehle in solchen Fällen stets eine Kombination aus einem festen Anteil und erfolgsabhängigen Bestandteilen. Absolute Klarheit im Vorfeld ist unerlässlich. In besonders risikoreichen Fällen sind Treuhandkonten inzwischen weit verbreitet. Das indische System respektiert die Rolle professioneller Spezialist:innen.

Was wäre deiner Ansicht nach der beste Handlungsweg für ein ausländisches Unternehmen mit einer Tochtergesellschaft in Indien, die in eine gravierende Ergebnis- und Liquiditätskrise gerät?

Du solltest zunächst eine ehrliche, schonungslose Analyse vornehmen: Handelt es sich um ein auf Indien begrenztes Problem oder um eine globale strategische Schieflage? Danach gilt es, schnell zu handeln. Wenn die indische Einheit über werthaltige Elemente verfügt – Liegenschaften, Anlagen, Lagerbestände, Intellectual Property, Marke –, sollten lokale Berater:innen hinzugezogen werden, die sowohl das indische Rechtssystem als auch die kulturellen Gegebenheiten verstehen. Häufig agieren ausländische Muttergesellschaften zu zögerlich – aus Unkenntnis der lokalen Insolvenzgesetze oder aus Angst vor Reputationsschäden. Dabei verfügt Indien heute über klare rechtliche Instrumente wie den IBC und klare Asset-sale-Regelungen. Auch ein Rahmen für grenzüberschreitende Insolvenz befindet sich in Arbeit. Entscheidend ist es, nicht so lange zu warten, bis das Gericht eingreifen muss. Eine freiwillige, frühzeitige Restrukturierung führt fast immer zu besseren Ergebnissen als eine erzwungene Liquidation.

Wie stark ist Private Equity in Indien im Bereich Restrukturierung engagiert?

Deutlich stärker – vor allem in den letzten fünf Jahren. Fonds wie Edelweiss ARC, die Piramal Group oder Oaktree sind sehr aktiv im Distressed-Asset-Segment. Auch Family Offices engagieren sich zunehmend, insbesondere dort, wo operative Maßnahmen eine Wende ermöglichen. Es etabliert sich hier gerade ein Markt. In größeren Fällen dominieren nach wie vor staatliche Banken das Gläubiger:innen-Gremium, und deren Risikobereitschaft ist eher gering. Ich bin aber überzeugt, dass PE-gestützte Restrukturierungen eine starke Zukunft in Indien haben – besonders in den Bereichen Konsumgüter und Infrastruktur, wo Marken- und Assetqualität hoch sind, das Management aber einen Neustart braucht.

Unterstützt deine Regierung Unternehmen in der Krise – beispielsweise durch Förderprogramme oder staatlich garantierte Darlehen?

Ja, und zunehmend stärker. Während der COVID-Pandemie wurde zum Beispiel die Emergency Credit Line Guarantee Scheme (ECLGS) eingeführt – mit einem Volumen von über drei Billionen Rupien (ca. 36 Mrd. USD) für KMU. Daneben gibt es branchenspezifische Programme wie TUFS (Textil) oder PLI (Produktion), die existenzfähigen Unternehmen bei Reinvestitionen helfen. Bei strukturellen Restrukturierungen – etwa Finanzierung von Unternehmen in der Krise oder Lohnfortzahlung während eines Insolvenzverfahrens – befindet sich dieses neue Ökosystem mit staatlichen Förderprogrammen noch im Aufbau. Die Regierung hat mit der NARCL (Bad Bank) auch einen wichtigen Baustein geschaffen, um notleidende Kredite aus den Bankbilanzen herauszulösen. Bis das in großem Maßstab auch greift, wird es noch etwas dauern. Ich bin jedoch optimistisch, dass diese Instrumente der indischen Wirtschaft helfen werden..