Restrukturierung in Kanada: Timing, Pragmatik und Flexibilität

Die Valtus Alliance stützt sich auf ein globales Netzwerk von Restrukturierungs-Expert:innen, da sich rechtliche Rahmenbedingungen und Restrukturierungspraktiken von Land zu Land stark unterscheiden. In diesem interkontinentalen Gespräch zwischen Benoît Créneau, CEO von xNorth in Toronto, und Thaddäus Müller, Partner bei FES Partners in Shanghai, erfahren Sie, warum der kanadische Rechtsrahmen den Ruf hat, sehr flexibel zu sein, warum verspätetes Handeln gefährlich ist und wie Interim Manager:innen in komplexen Restrukturierungsszenarien Klarheit und Dynamik schaffen können. Von grenzüberschreitenden Insolvenzen über Private-Equity-Beteiligungen bis hin zur Rolle von Interim-CFOs – dieser Austausch gibt einen praxisnahen Einblick, wie Unternehmenssanierungen in Kanada erfolgen

Benoît, was macht den Rechtsrahmen für Insolvenz und Restrukturierung in Kanada einzigartig?

Kanada hat einen sehr unternehmensfreundlichen Rechtsrahmen für Restrukturierungen. Die zwei wichtigsten Instrumente sind der Companies’ Creditors Arrangement Act (CCAA) für größere Unternehmen und der Bankruptcy and Insolvency Act (BIA) für kleinere. Hervorhebenswert sind die Flexibilität und Pragmatik dieses Systems. Zum Beispiel können unter dem CCAA Unternehmen in Schwierigkeiten während des Verfahrens die Kontrolle über ihre Geschäfte behalten. Das bedeutet, sie können den Betrieb fortführen, während sie mit Gläubiger:innen verhandeln – was Arbeitsplätze und Unternehmenswert schützt. Die Gerichte sind wirtschaftsorientiert und unterstützen in der Regel Lösungen, die auf Stabilisierung und Wertmaximierung abzielen.

Was ist deiner Erfahrung nach der häufigste Fehler, den Unternehmen in den frühen Phasen einer Liquiditätskrise machen?

Der größte Fehler ist: zu lange zu warten. Viele Führungsteams sind zu optimistisch oder glauben, sie könnten die Probleme intern lösen. Doch wenn der Liquiditätsengpass akut wird, ist es meist zu spät, um mit Banken und Lieferant:innen aus einer starken Position heraus zu verhandeln.

Ein weiteres häufiges Problem ist, sich ausschließlich auf Kostensenkungen zu konzentrieren, ohne das große Ganze zu betrachten: Geschäftsmodell, Preisstrategie und Kund:innenmix sind wichtig. Ich habe Unternehmen erlebt, die Reisen gestrichen, kleine Investitionen verschoben oder Einstellungsstopps verhängt haben, während sie gleichzeitig weiter Verluste mit unprofitablen Verträgen oder veralteten Strukturen machten. So wiegt man sich im Glauben, vorsichtig zu handeln, ohne aber die Wurzel des Übels anzupacken. Hier in Kanada sagen wir oft: „Penny wise but pound foolish“. Es wird am falschen Ende gespart, während die wirklichen Probleme unberührt bleiben. In solchen Situationen ermutige ich Führungsteams immer, Annahmen zu hinterfragen und die strukturellen Probleme frühzeitig anzugehen.

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Ab wann und in welcher Rolle sollte ein:e externe:r Restrukturierungsexpert:in hinzugezogen werden und wer sollte das Mandat erteilen?

Ein:e Externe:r sollte eingebunden werden, sobald sich abzeichnet, dass es sich nicht nur um eine vorübergehendes Delle im Ergebnis handelt. Wiederkehrende Cashflow-Probleme, regelmäßig verfehlte Ziele, ein steigender Druck von Gläubiger:innenseite und interne Fehlleistungen sind oft gute Indikatoren, dass eine Krise tieferliegende Ursachen hat und nicht morgen vorbei sein wird. Typischerweise übernimmt die bzw. die hinzugezogene Manager:in dann die Rolle eines Interim CFOs, CROs oder COOs, je nachdem, wo die größten Probleme liegen.

Am besten trifft der Vorstand oder die Eigentümer:innen die Entscheidung. Das schafft Legitimität, richtet die Stakeholder aus und zeigt, dass das Unternehmen es ernst mit der Stabilisierung meint. Frühzeitiges Handeln sichert zudem die Chance auf mehrere Optionen, also auf operative Sanierung, Refinanzierung oder auch Vorbereitung eines Verkaufs.

Wie stellen Interim Manager:innen in Restrukturierungen sicher, dass sie in Fällen von Insolvenz oder Konkurs ihr Honorar erhalten?

In den meisten Fällen werden Interim-Manager:innen vor Beginn eines formellen Insolvenzverfahrens geholt – somit bleibt Zeit, eine passende Vereinbarung zu treffen. Üblich sind zeitlich befristete Verträge mit Vorauszahlungen und erfolgs- bzw. meilensteinbasierten Honorare.

In Verfahren nach dem CCAA sind die Zahlungsbedingungen klar geregelt. Wenn das Interim-Mandat gerichtlich genehmigt ist, dann ist der Schutz stärker. Generell hat es sich bewährt, die Konditionen von Anfang an gut zu verhandeln und dann während des gesamten Mandats nah am Cash zu bleiben.

Kannst du ein aktuelles Restrukturierungs- oder Turnaround-Beispiel aus deinem Land schildern?

Ein aktueller Fall betraf ein kanadisches Technologieunternehmen mit operativen Ineffizienzen und wachsendem finanziellem Druck. Wir setzten eine:n Interim Executive ein und führten eine schnelle Diagnose durch. Das Ergebnis war folgendes: Die Unternehmensprozesse und die kommerzielle Strategie waren nicht aufeinander abgestimmt – vor allem, wie Verträge kalkuliert und wie sie tatsächlich erfüllt wurden.

Wir setzten ein sofortiges Kosten-Reset um, verhandelten Zahlungsbedingungen mit wichtigen Lieferant:innen neu und arbeiteten mit dem Vertriebsteam daran, Preis- und Vertragsmodelle so anzupassen, dass sie die tatsächlichen Kosten widerspiegeln. Außerdem verbesserten wir das Working-Capital-Management, um die kurzfristige Liquidität zu sichern.

Der entscheidende Faktor war Geschwindigkeit und Klarheit. Innerhalb von 60 Tagen stabilisierten wir die Cash-Position und eröffneten strategische Optionen – inklusive Gesprächen mit Investor:innen. Hier war es auch möglich, über die Valtus Alliance auch auf internationale Expertise für die Bewertung grenzüberschreitender Chancen zurückzugreifen.

Welcher Fall in deiner Karriere hat am stärksten deine Sicht auf Restrukturierung geprägt – und was hast du daraus gelernt?

Früh in meiner Laufbahn arbeitete ich am Turnaround einer Tochtergesellschaft einer europäischen Gruppe. Die Warnsignale waren da: sinkende Margen, operative Probleme, Spannungen mit der Zentrale – doch die Unterstützung kam zu spät.

Als ich einstieg, war das lokale Team erschöpft und das Vertrauen der Investoren niedrig. Trotzdem gelang es uns, die Teams neu zu mobilisieren, Vertrauen wiederherzustellen und das Geschäft auf Kurs zu bringen. Es war eine echte Sanierung – aber eine, die viel weniger schmerzhaft hätte sein können, wenn man früher gehandelt hätte.

Meine Lehren aus diesem Fall? Timing ist extrem wichtig. Und in Restrukturierungen zählen Menschen genauso viel wie Zahlen. Ausrichtung, Kommunikation und schnelle Erfolge sind entscheidend, um Schwung beim Turnaround aufzunehmen.

Wie effizient ist in deinem Land die Zusammenarbeit zwischen Management, Gläubiger:innen und Gerichten in formellen Restrukturierungen?

Im Allgemeinen funktioniert der Prozess in Kanada gut. Gerichte sind wirtschaftsorientiert, Gläubiger:innen meist pragmatisch, und der rechtliche Rahmen sorgt für eine faire Verteilung der Sanierungsbeiträge.

Mühsam wird es nur dann, wenn das Management nicht vollständig transparent oder intern nicht abgestimmt ist. Dann lässt das Vertrauen der Stakeholder schnell nach. Doch mit starker Führung und klarer Kommunikation haben wir auch in komplexen Fällen mit zahlreichen Kreditgeber:innen aus unterschiedlichen Ländern eine sehr effektive Zusammenarbeit erlebt.

Was empfiehlst du einem ausländischen Konzern mit Tochtergesellschaft in Kanada im Fall einer schweren Profitabilitäts- und Liquiditätskrise?

Der erste Schritt ist: prüfen, wie stark die kanadische Tochter von den Problemen der Muttergesellschaft isoliert ist. Oft sind die Einheiten rechtlich getrennt, was eine eigenständige Stabilisierung oder Restrukturierung erleichtert.

Ich würde empfehlen, eine:n lokale:n Interim Executive einzusetzen – für Diagnose, Stakeholder-Management und zur Definition der Optionen: Verkleinerung, Ausstieg, Refinanzierung oder Verkaufsvorbereitung. Es ist wichtig, jemanden vor Ort zu haben, der den Markt versteh. Das macht den entscheidenden Unterschied.

Welche Rolle spielt Private Equity in Kanada bei Restrukturierungen?

Private Equity spielt eine wachsende Rolle, vor allem bei operativen Turnarounds und Special-Situations-Investments. Der Markt ist jedoch konservativer als z. B. in den USA.

Kanadische PE-Firmen treten meist erst nach einer Restrukturierung aktiv auf indem sie Vermögenswerte und Unternehmensteile kaufen. Den aktiven Restrukturierungsprozess führen sie selbst in der Regel nicht an. Banken und bestehende Gesellschafter:innen sind in Restrukturierungen noch zentral, aber das verändert sich langsam.

Unterstützt deine Regierung Unternehmen in Krisen durch Zuschüsse oder staatlich garantierte Kredite?

Direkte Unterstützung gibt es in normalen Zeiten nur begrenzt. Während COVID stellte die Regierung jedoch Hilfsprogramme wie CEWS (Canada Emergency Wage Subsidy) und CEBA (Canada Emergency Business Account) bereit.

Außerhalb von Krisen können staatliche Agenturen wie die BDC (Business Development Bank of Canada) oder Investissement Québec Refinanzierung anbieten, besonders für KMUs oder Firmen in strategisch relevanten Sektoren. Grundsätzlich werden die meisten Restrukturierungen in Kanada jedoch privat durchgeführt. Der Staat unterstützt höchstens bei Umschulungs- oder Arbeitsmarktprogrammen, er greift aber selten operativ ein.