Es ist einer der größten österreichischen Versicherungsfälle in der jüngeren Geschichte: Einer von zwei Produktionsstandorten eines heimischen Leitbetriebs brennt völlig nieder.

Im Rahmen eines laufenden Mandates der Management Factory durften Christian Egger (Partner bei Management Factory) und Michael Austerer (Manager bei Management Factory) das Unternehmen federführend in der Abwicklung begleiten. Hier geben sie einen Einblick in die daraus gewonnenen Erfahrungen. In diesem ersten Teil geht es um die Betriebsunterbrechungs-Versicherung (BU-Versicherung), im zweiten Teil stehen versicherungstechnische Aspekte des Sachschadens im Mittelpunkt.


Die Ausgangssituation

Beim Unternehmen handelt es sich um ein österreichisches, produzierendes Unternehmen der Konsumgüterindustrie mit rund 200 Mio. Euro Umsatz. Nach einem technischen Gebrechen kam es zu einem Großbrand an einem von zwei Produktionsstandorten der Gruppe. Die durch den Brand verursachten Schäden sind erheblich, de facto handelt es sich um einen Totalausfall des betroffenen Produktionsstandortes. Insgesamt verliert das Unternehmen damit auf einen Schlag mehr als fünfzig Prozent der vorhandenen Gesamtproduktionskapazität. Die durch den Brand zerstörten Produktionsflächen umfassen rund 25.000 Quadratmeter. 

Neben dem Sachschaden an Gebäude und Anlagen gilt es daher auch, den Betriebsunterbrechungsschaden zu erheben, sprich den infolge der Unterbrechung des Betriebes entgangenen Deckungsbeitrag. Das Unternehmen verfügt über eine umfassende All-Risk Versicherung.

Die nachfolgenden Ausführungen fokussieren ausschließlich auf versicherungstechnische Aspekte dieses Schadensfalles, die operative Bewältigung der durchaus kritischen Unternehmenssituation ist nicht Gegenstand des Artikels. 

Zurück zum Schadensfall – ein erstes Learning möchten wir gleich vorweg teilen: Wenn Sie sich einen erhöhten Pulsschlag ersparen möchten, empfehlen wir eine detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Versicherungsbestimmungen im Vorfeld eines allfälligen Großschadens.

Was ist bei der BU-Versicherung zu beachten?

Ziel einer Betriebsunterbrechungs-Versicherung (BU-Versicherung) ist es, das Unternehmen für jenen entgangenen Deckungsbeitrag zu entschädigen, welcher aus einer Betriebsunterbrechung infolge eines eingetretenen Sachschadens entstanden ist. Somit ist diese Art der Versicherung, neben der meist bekannteren Sachversicherung, essenziell, um den wirtschaftlichen Schaden gesamthaft abzusichern.

Versicherungswert /-summe

Eine korrekte und ausreichend hohe Versicherungssumme ist die unerlässliche Basis, um einen Großschaden dieser Dimension erfolgreich zu bewältigen. Als Versicherungswert gilt jener Deckungsbeitrag, der im versicherten Betrieb während der Haftungszeit ohne Betriebsunterbrechung erwirtschaftet worden wäre. 

Die jährliche Berechnung und Einmeldung der Versicherungswerte liegt in der Verantwortung des Unternehmens. Unsere Empfehlung: Führen Sie diese vermeintliche Routineaufgabe sehr gewissenhaft durch. Diskutieren Sie die Budget- oder Forecastwerte intern im Vorfeld der jährlichen Aktualisierung. Diese Wertemeldung muss korrekt sein, denn sie entscheidet letztendlich darüber, ob Sie dem Risiko einer Unterversicherung ausgesetzt sind. 

BU-Haftungszeit

Der Haftungszeitraum ist jene Zeitspanne, in welcher die aus dem Schaden resultierenden entgangenen Deckungsbeiträge durch die Versicherung gedeckt sind. Die Haftungszeit ist damit einer der wesentlichsten Parameter in Ihrem Versicherungsvertrag.

12 Monate, 18 Monate oder 24 Monate? Die Festlegung der korrekten BU-Haftungszeit erfordert ein detailliertes Auseinandersetzen mit dem eigenen Unternehmen. Worin liegt der Worst-Case, gegen den Sie sich versichern? Wie lange benötigen Sie im Schadensfall für ein vollständige Behebung? Wie lange dauern Aufräumarbeiten, Neukonzeption, Ausschreibung und Beschaffung, behördliche Genehmigungen, Wiederaufbau und Anlagenmontage, Inbetriebnahme etc. Diese Aktivitäten und damit auch die erforderliche Zeitspanne können umfassend sein, abhängig vom Schadensszenario. All diese Überlegungen sind durchaus zeitintensiv und als „Trockenübung“ mühsam, weil sich die Relevanz erst im Schadensfall zeigt. Eine zu niedrig gewählte Haftungszeit kann im Worst Case aber existenzgefährdend sein.

BU-Haftungszeit bei vorgelagerter Produktion 

Die Frage der korrekten Haftungszeit wird nochmals schwieriger, wenn Zeitpunkt von Produktion und Umsatzrealisierung auseinanderfallen. Bei produzierenden Unternehmen erfolgt die Produktion oftmals mehrere Monate im Voraus zur tatsächlichen Umsatzrealisierung. Was konkret ist nun im Schadensfall versichert? Der in der versicherten Haftungszeit entgangene Deckungsbeitrag? Oder jener Deckungsbeitragsverlust, den das Unternehmen aufgrund der in der Haftungszeit entfallenden Produktionskapazitäten erleidet? Bei Letzterem erfolgt die Umsatzrealisierung gegebenenfalls erst nach Ende der Haftungszeit. Diese Frage wird unserer Einschätzung nach innerhalb der Branche durchaus kontroversiell diskutiert. Mitunter können die beiden Szenarien im Ergebnis aber stark voneinander abweichen, insbesondere wenn zwei konjunkturell unterschiedlich erfolgreiche Geschäftsjahre aufeinander folgen. 

Der zeitliche Verschub zwischen Produktion und Umsatzrealisierung trifft auch auf Ihr Unternehmen zu? Dann empfehlen wir Ihnen, diese Fragestellung jedenfalls mit Ihren Versicherungsexperten im Detail zu erörtern.

Versicherungsumfang und -deckung im Konzern 

International tätige Unternehmen weisen meist eine Konzernstruktur auf. Tritt ein Schaden in einer Gesellschaft auf, kann dies signifikante wirtschaftliche Auswirkungen auf die anderen Gesellschaften im Konzern haben. Im vorliegenden Fall bedeutete dies: Durch den Ausfall in der Produktionsgesellschaft im Ausland konnten in weiterer Folge diverse Vertriebsgesellschaften im In- und Ausland nicht mehr ausreichend mit Ware beliefert werden. Die Realisierung dieser Deckungsbeiträge in anderen Konzerngesellschaften blieb also auch aus. 

Wäre in diesem Fall nur der Entgang der Deckungsbeiträge am vom Schadensfall betroffenen Produktionsstandort versichert gewesen, hätte dies nur einen Teil des gesamten Schadens abgedeckt. Es ist somit essenziell, den Entgang der Deckungsbeiträge über alle Konzernstufen hinweg zu versichern. In der Regel kann dies über eine Umbrella-Versicherung in Form eines Mastervertrags erfolgen.

Wechselwirkungen und Abhängigkeiten im Konzern

Ähnlich wie bei der vorangegangenen Thematik verhält es sich auch bei technischen und prozessualen Abhängigkeiten zwischen zwei Produktionsstandorten. Nehmen wir an, der vom Schaden betroffene Produktionsstandort liefert ein Vorprodukt für die Produktion am zweiten Produktionsstandort. Im Schadensfall ist damit auch die Produktion am zweiten Standort betroffen. Daraus ergeben sich zusätzlich entgangene Deckungsbeiträge oder gegebenenfalls Mehrkosten, falls das Unternehmen die Vorprodukte anderswo zukauft oder in anderen Produktionsstätten teurer produzieren muss. Dies stellt versicherungstechnisch einen sogenannten Wechselwirkungsschaden dar und sollte jedenfalls durch den Versicherungsvertrag innerhalb der Gruppe abgedeckt sein. 

Umgang mit variablen Kosten im Versicherungsvertrag

Gegebenenfalls sind laut Versicherungsvertrag einzelne Kostenkomponenten nur zu einem reduzierten Anteil versichert. Dies kann betriebliche Aufwendungen wie auch Personalkosten umfassen, die eventuell nur zu einem Teil versichert sind, weil dadurch allenfalls die Versicherungsprämie niedriger ausfällt. Dies ist durchaus ein legitimer Ansatz, aber stellen Sie sicher, dass es sich dabei um Kosten handelt, die im Schadensfall auch tatsächlich im entsprechenden Ausmaß reduziert werden können. 

Berücksichtigung der Marktlage

Eine weitere spannende Facette ist die korrekte Berücksichtigung von schadensunabhängigen Entwicklungen. Im Versicherungsjargon lautet es dazu: „Bei der Ermittlung des entgangenen Deckungsbeitrages sind all jene Umstände zu berücksichtigen, die dessen Höhe auch ohne Betriebsunterbrechung beeinflusst hätten, zum Beispiel die technischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des versicherten Betriebes, vorgesehene Veränderungen im versicherten Betrieb, die Marktlage, Auswirkungen von höherer Gewalt, Streik …“. Soll heißen, dass all jene Entwicklungen bei der Schadensbewertung zu berücksichtigen sind, die auch unabhängig vom Schadensfall eingetreten wären. Ein Paradebeispiel dafür ist die Marktentwicklung im Haftungszeitraum während der Covid-19 Pandemie: Positiv wie negativ ist diese jedenfalls bei der Simulationsrechnung zur Schadensermittlung zu berücksichtigen. Streiks, Exportverbote oder Arbeitskräftemangel wären weitere Facetten dieser Thematik. 

Allgemeines zum Prozess der Schadensermittlung

Für die Ermittlung der entgangenen Deckungsbeiträge, also des betriebswirtschaftlichen Schadens, wird seitens der Versicherung ein Sachverständiger beauftragt. Es gilt, eine Vergleichsrechnung aufzustellen, welche die Situation im Nicht-Schadensfall mit der Situation im Schadensfall vergleicht und die Differenzen der jeweiligen Deckungsbeiträge transparent darstellt.

Im vorliegenden Fall wurde ein umfassendes Gewinn- und Verlustrechnungsmodell entwickelt, welches alle planungsrelevanten Stellhebel abbildete. Für die Erstellung dieses Simulationsmodells war es erforderlich, ein gemeinsames Verständnis für das Geschäftsmodell, die versicherungsspezifischen, vom Vertrag abhängigen Bewertungslogiken sowie für alle im Modell getroffenen Planungsannahmen zu entwickeln. De facto erfolgt die Schadensermittlung in solchen Fällen immer in enger Zusammenarbeit zwischen Sachverständigen und Unternehmen. Im konkreten Fall erstreckte sich dieser Prozess über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren.

In der nächsten Ausgabe unseres Newsletters lesen Sie, welche versicherungstechnisch, spannenden Aspekte sich im Zusammengang mit dem Sachschaden zeigten und welche Lessons Learned wir im Rückblick mitnehmen.

Verfasser des Newsletters: Christian Egger und Michael Austerer