Wie laufen Schiedsgerichtsverfahren ab, und welche Vor- und Nachteile haben sie? Diese Fragen erläutert unser Partner und Executive Interim Manager Martin Pfeffer anhand eines konkreten Falles aus seinem aktuellen Mandat.

Insbesondere bei Exportverträgen werden häufig Schiedsgerichtsklauseln vereinbart. Damit wird ein möglicher Rechtsstreit auf ein Schiedsgericht übertragen, was sehr einleuchtend erscheint, sind damit doch folgende Vorteile verbunden: 

  • Private Natur: Schiedsgerichtsverfahren sind privat und werden von den Parteien vereinbart. Im Gegensatz zu staatlichen Gerichten wählen die Parteien bei einem Schiedsverfahren ihre Schiedsrichter und den Ort des Verfahrens. 
  • Internationale Anwendbarkeit: Schiedsverfahren sind oft bevorzugt, wenn es um Streitigkeiten mit internationalen Elementen geht, da sie grenzüberschreitend durchgeführt werden können. Entscheidungen sind in den meisten Ländern auch außerhalb der EU anerkannt und durchsetzbar – anders als bei staatlichen Gerichten. 
  • Spezialisierte Schiedsrichter: In Schiedsverfahren können die Parteien spezialisierte Schiedsrichter wählen, die über Fachkenntnisse in dem betreffenden Rechtsgebiet verfügen. Dadurch können komplexe Fragen effektiv und effizient bearbeitet werden. 
  • Flexibilität und Vertraulichkeit: Schiedsverfahren bieten mehr Flexibilität hinsichtlich der Verfahrensregeln und Zeitpläne. Außerdem sind Schiedsverfahren in der Regel vertraulich, was bedeutet, dass die Angelegenheit nicht öffentlich ist und die Verfahrensakten nicht öffentlich zugänglich sind. 
  • Begrenzte Berufungsmöglichkeiten: Die Entscheidungen eines Schiedsgerichts sind in der Regel endgültig und können nur unter begrenzten Umständen angefochten werden. Im Gegensatz dazu können Urteile staatlicher Gerichte generell angefochten werden, was zu längeren und komplexeren Verfahren führt. 
  • Kosteneffizienz: Obwohl Schiedsverfahren mit bestimmten Kosten verbunden sind, können sie wegen der kürzeren Verfahrensdauer oft kosteneffizienter sein als staatliche Gerichtsverfahren. Dies gilt insbesondere für komplexe oder internationale Streitigkeiten. 

Anhand eines Praxisfall aus einem Mandat der Management Factory zeigen wir im Folgenden, mit welchem Aufwand, welcher Dauer und welchen Kosten ein Schiedsgerichtsverfahren verbunden sein kann. 

 1. Die Ausgangslage

Ein mittelständisches Unternehmen (Auftragnehmer) schließt im Jahr 2016 einen Vertrag mit einem englischen Anlagenbetreiber (Auftraggeber). Dabei geht es um die Errichtung einer Glasrecyclinganlage mit einem Auftragswert von EUR 12 Mio. ab. Vereinfacht dargestellt soll die zu errichtende Anlage aus gesammeltem Altglas mittels verschiedener Verfahrensstufen Glasscherben für den weiteren Verkauf produzieren. 

Wie in diesem Grundgeschäft üblich, wurden unter anderem Garantiewerte für den geplanten Output (Glasscherben) vereinbart. Da das gesammelte Altglas in Bezug auf die Korngrößen, die Verteilung nach Farben sowie der Störstoffe (Keramik, Stein, Metall, Papier, etc.) in den verschiedenen Ländern bzw. teilweise auch innerhalb von Regionen stark abweicht, wurde das Inputmaterial im Werklieferungsvertrag sehr genau spezifiziert. 

Sowohl die Input- also auch die Output-Definition werden für die Auftragsabwicklung und für das Schiedsgerichtsverfahren noch eine große Rolle spielen. 

Im Zuge der Projektumsetzung im Jahr 2017 kam es zu Uneinigkeiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Der Auftraggeber vertrat die Meinung, dass die Anlage nicht die geforderte Outputmenge und -qualität hervorbrachte. Der Auftragnehmer seinerseits forderte vergeblich die Einhaltung der geforderten Inputspezifikation ein. 

2. Das Schiedsgerichtsverfahren

Trotz Vergleichsgesprächen kam es zu keiner Einigung. Daher entschied der Auftragnehmer, die noch offenen Zahlungen einzuklagen (Auftragnehmer = Kläger). Dies erfolgte gemäß den Vertragsbestimmungen durch einen Schiedsgerichtsantrag, einen sogenannten „Request for Arbitration“. Dieser wurde auf Basis der Regeln der ICC („International Chamber of Commerce“) gestellt, und zwar im Dezember 2018 mit folgenden Parametern: 

  • Schiedsgerichtsort: London 
  • Schiedsgerichtssprache: Englisch 
  • Klagswert: ca. EUR 3,5 Mio. 
  • Schiedsrichter:innen: 3 
  • Beklagter: Auftraggeber 

Der Internationale Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer ist die unabhängige Schiedsinstanz der ICC. 

Der Gerichtshof löst selbst keine Streitigkeiten. Er verwaltet die Beilegung von Streitigkeiten durch Schiedsgerichte gemäß der Schiedsgerichtsordnung der ICC. Zu den damit verbundenen Aufgaben des Gerichtshofs zählen die Prüfung und Genehmigung von Schiedssprüchen, die in Übereinstimmung mit der Schiedsgerichtsordnung erlassen werden. 

Im Vorfeld des Schiedsgerichtsantrags erfolgte die Nominierung des ersten Schiedsrichters. Jeder Schiedsrichter muss unparteiisch und unabhängig von den an dem Schiedsverfahren beteiligten Parteien sein und bleiben. Vor der Ernennung oder Bestätigung unterzeichnen die künftigen Schiedsrichter:innen eine Erklärung über Annahme, Verfügbarkeit, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. 

Darüber hinaus wurde ein renommierter britischen Anwalt („barrister“) engagiert, um sicherzustellen, dass der Kläger einen Experten mit entsprechender Erfahrung in Bezug auf Schiedsgerichtsverfahren an seiner Seite hat. 

Auf Seite unseres Mandanten wirkte auch die Grazer Anwaltskanzlei federführend mit, die bereits im Vorfeld der Vertragsverhandlungen für den Kläger tätig war. Dies erwies sich von Beginn an als entscheidender Vorteil. Durch die Kenntnis des Unternehmens des Klägers, der Vertragsgrundlagen sowie der technischen Besonderheiten wurde der Fokus unmittelbar auf die relevanten Fakten gelenkt. 

3. Der Ablauf 

Grundsätzlich werden in Schiedsgerichtsverfahren verschiedene Maßnahmen verfolgt, um den Ablauf zeit- und kosteneffizient zu gestalten. Gemäß der „arbitration rules“ der ICC sind das unter anderem: 

  • Aufteilung des Verfahrens oder Erlass eines oder mehrerer Teilurteile zu wichtigen Fragen, wenn dies zu einer effizienteren Lösung des Falles führen kann; 
  • Ermittlung von Fragen, die durch eine Vereinbarung zwischen den Parteien oder ihrer Sachverständigen gelöst werden können; 
  • Ermittlung von Fragen, die ausschließlich auf der Grundlage von Dokumenten zu entscheiden sind, und nicht durch mündliche Beweise oder rechtliche Argumente in einer Anhörung; 
  • Vorlage von Urkundenbeweisen; 
  • Aufforderung an die Parteien, mit ihren Schriftsätzen die Dokumente vorzulegen, auf die sie sich berufen; 
  • Vermeidung von Anträgen auf Vorlage von Schriftstücken, wenn dies aus Gründen der Zeit- und Kostenkontrolle angemessen ist; 
  • In jenen Fällen, in denen Anträge auf Vorlage von Schriftstücken als angemessen erachtet werden, diese Anträge auf Schriftstücke oder Kategorien von Schriftstücken beschränken, die für den Ausgang des Falles relevant und wesentlich sind; 
  • Festlegung angemessener Fristen für die Vorlage von Schriftstücken; 
  • Verwendung eines strikten Zeitplans für die Vorlage von Unterlagen, um die Klärung von Fragen im Zusammenhang mit der Vorlage von Unterlagen zu erleichtern; 
  • Begrenzung der Länge und des Umfangs von Schriftsätzen und schriftlichen und mündlichen Zeugenaussagen (sowohl von Tatsachenzeugen als auch von Sachverständigen), um Wiederholungen zu vermeiden und sich auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren;  
  • Einsatz von Telefon- oder Videokonferenzen für verfahrensrechtliche und andere Anhörungen, bei denen eine persönliche Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich ist, sowie Einsatz von IT, die eine Online-Kommunikation zwischen den Parteien, dem Schiedsgericht und dem Sekretariat des Gerichtshofs ermöglicht; 
  • Organisation einer Konferenz vor der Anhörung mit dem Schiedsgericht, in der die Modalitäten der Anhörung erörtert und vereinbart werden können und in der das Schiedsgericht den Parteien die Themen nennen kann, auf die sich die Parteien in der Anhörung konzentrieren sollen; 
  • Ermutigung der Parteien, eine Beilegung der gesamten oder eines Teils der Streitigkeit in Erwägung zu ziehen, entweder durch Verhandlungen oder durch irgendeine Form der gütlichen Streitbeilegung, wie zum Beispiel durch Mediation nach den ICC-Mediationsregeln.  

Im vorliegenden Fall wurde der Ablauf in seiner Länge beeinflusst durch 

  • die Komplexität des Sachverhaltes; 
  • die (teilweise) erfolgreichen Ansuchen des Beklagten um Fristverlängerung in Bezug auf Stellungnahmen oder beizubringender Dokumente; 
  • zusätzliche Eingaben des Beklagten; 
  • pandemiebedingt Durchführung und Vorbereitung der Verhandlung in hybrider Form. 

Im Überblick sah der Ablauf wie folgt aus: 

Im März 2019 erfolgte die Antwort auf den Antrag bzw. die Information über Gegenforderungen, die sogenannte „Answer to the Request, Counterclaims“ seitens des Beklagten. Neben der Rückweisung der Ansprüche des Klägers wurden seitens des Beklagten Gegenforderungen in Höhe von ebenfalls umgerechnet EUR 3,5 Mio. gestellt, plus weiterer hoher Schadenersatzansprüche. 

Auf folgenden Zeitablauf, die sogenannte „Procedural Timetable“, haben sich die Parteien geeinigt: 

Sehr herausfordernd stellte sich die Nominierung eines Sachverständigen zur Erstellung des Gutachtens dar. Schließlich sollte dieser neben einer profunden Kenntnis der Materie, in diesem Fall also der Funktionsweise von Anlagen für das Recycling von Altglas, auch über gutachterliche und Schiedsgerichtserfahrung verfügen. Mit März 2020 konnten wir beziehungsweise der Kläger einen kompetenten Sachverständigen finden und nominieren, der vom Gericht akzeptiert wurde. Auch die Gegenseite wählte einen Gutachter mit technischer Expertise aus. Es entstanden somit zwei Gutachten plus einem Bericht über die unbestrittenen Teile der Gutachten, auf die sich die beiden Gutachter einigten. 

Seitens der Klägers galt es zu beweisen, dass die vom Beklagten betriebene Anlage 

  • nicht mit dem erforderlichen und vertraglich vereinbarten Inputmaterial 
  • über die definierte Aufgabemenge hinaus betrieben wird und 
  • aufgrund des nicht bereit gestellten Inputmaterials als „abgenommen“ gilt. 

Zudem hat der Kläger trotz fehlender Inputqualität und zu hoher Aufgabemenge Adaptionen auf seine Kosten an der Anlage vorgenommen, damit der Beklagte diese noch effizienter nutzen konnte. 

Die Beweisführung und Zeugenvorbereitung wurde mit hoher Akribie verfolgt. Dazu wurde eine Fülle an technischen und kaufmännischen Unterlagen analysiert und bewertet, viele Zeugen mussten befragt und vorbereitet werden. Dies führte dies zu einem äußerst hohen Zeitaufwand für Anwälte, Zeugen sowie weitere betroffene Mitarbeiter:innen des Klägers. 

4. Kosten des Schiedsgerichtsverfahrens

Die endgültigen Kosten für das Schiedsgerichtsverfahren des Klägers waren deutlich höher als ursprünglich angenommen. Sie beinhalteten Positionen für das Gericht, die Anwälte und Gutachter sowie Übersetzungen. Diese betrugen in Summe über EUR 3,6 Mio., also etwas mehr als der Klagswert, wobei seitens einer Haftpflichtversicherung im Zuge des Verfahrens EUR 2,2 Mio. übernommen wurden. 

Das hohe Kostenausmaß ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Stundensätze für englische Spitzenanwälte und das Ausmaß der notwendigen Vorbereitungstätigkeiten vor dem eigentlichen Verfahren äußerst hoch waren. Zudem wurden durch außerordentliche Eingaben des Beklagten zusätzliche und nicht unbeträchtliche Kosten verursacht. 

5. Schiedsspruch

Das Gericht erklärte im Wesentlichen in seinem Urteil, dass die Glasrecyclinganlage als „abgenommen“ galt und somit die Abnahme und Übernahme gemäß den Vertragsbedingungen erfolgt war, da der Beklagte innerhalb der angegebenen Frist nicht das vertragskonforme Inputmaterial zur Verfügung stellen konnte.  

Die im Schiedsgerichtsantrag angeführten Ansprüche des Klägers wurden zu großen Teilen diesem zugesprochen. Gleiches galt für die angefallenen Kosten für das Schiedsgerichtsverfahren, die der Beklagte zu großen Teilen übernehmen musste. 

Fazit 

Im Rückblick ist das Schiedsgerichtsverfahren aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Vorab wurde intensiv versucht, eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen.  

Darüber hinaus galt es abzuwägen, ob der Aufwand und das Risiko des Verfahrens die noch offenen Forderungen oder zukünftigen Kosten rechtfertigen. Nachdem im konkreten Fall die Abnahme ständig verweigert wurde, standen laufende Nachbesserungen mit immensen Kostenauswirkungen im Raum. 

Folgende wesentliche Lehren können für die Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit gezogen werden: 

  1. Der Vertragserrichtung bei komplexen Kundenprojekten kann nicht genug Bedeutung beigemessen werden; 
  1. Im Zuge des regulären Projektablaufes müssen seitens des Projektmanagements die Vertragsinhalte und Interessen des Auftragnehmers im Auge behalten werden, und zwar mit jeder Handlung und einer sorgfältigen Dokumentation; 
  1. Auswahl der Anwälte: Sowohl die Kenntnis des Unternehmens bzw. des Vertrages als auch die Prozesserfahrung des Grazer Anwaltsbüros waren von entscheidender Bedeutung. Auch die Auswahl des englischen Anwalts, der im Schiedsgericht die Interessen des Klägers vertrat, stellte sich als Erfolgsfaktor dar. Beide konnten durch ihre Expertise und ihren unermüdlichen Einsatz die Fakten präzise und überzeugend darstellen; 
  1. Die Vorbereitung der Zeugen im Hinblick auf Aussagen, Dokumente sowie Verfahrenssicherheit ist von einem hohen Zeitaufwand als auch emotionalen Druck auf die Zeugen begleitet. Es darf nicht vergessen werden, dass ein nicht erfolgreiches Großprojekt bereits in der Abwicklung die involvierten Personen stark belastet. Sowohl in der Vorbereitung als auch im eigentlichen Verfahren sind diese dann nochmals äußerst stark gefordert; 
  1. Insbesondere komplexe Sachverhalte erzeugen einen hohen Kosten- und Zeitaufwand, der vielfach unterschätzt wird; 
  1. Spezialisierte Schiedsrichter sind im Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit bei verfahrenstechnisch komplexen Themen von großem Vorteil. 

Dieser Fall ist für unseren Mandaten erfolgreich ausgegangen: Neben einem hohen Anteil des Klagswert wurde der Beklagte auch zur Übernahme der Verfahrenskosten in einem hohen Ausmaß verurteilt.  

Auch auf persönlicher Ebene war das Verfahren übrigens ebenfalls ein echter „Gewinn“: Die Grazer Anwältin und der Londoner Barrister fanden Gefallen aneinander und heirateten im September 2022 in Graz.